Tierschutzhunde und aversives Training

Second-Hand-Hunden ein neues Zuhause zu geben, liegt nach wie vor stark im Trend. Eine (eigentlich) schöne Entwicklung, da so immer mehr „gebrauchte“, verlassene oder ausgesetzte Tiere ein neues Heim finden. Problematisch wird es dann, wenn die neuen Hundehalter dem Vierbeiner nicht die Zeit geben sich einzufinden und schnelle Lösungen für jedes unerwünschte Verhalten suchen.

Das Vor-Leben des Tierschutzhundes

Je nachdem, woher der Hund kommt, kann es sein, dass seine bisherigen Lebensbedingungen sich deutlich von unseren unterschieden haben. Während österreichische Tierheime noch relativ nah am normalen Alltag einer Familie liegen, sieht das im Auslandstierschutz meist ganz anders aus. Die Hunde leben oftmals das ganze Jahr über im Freien, in mehr oder weniger großen Zwingern, alleine oder in Gruppen. Die Geräusche, Gerüche oder auch Regeln, die in einem normalen österreichischen Haushalt gelten sind ihnen fremd.

Der Einzug des Tierschutzhundes

Nun kommt der frisch „gerettete“ Tierschutzhund also in sein neues Zuhause und wird (aus Hundesicht) mit Luxus überschüttet: ein eigenes Bettchen steht bereit, alle Menschen der Familie begrüßen den Hund und überschütten ihn mit Aufmerksamkeit, es gibt ausreichend Futter und er hat einen riesigen Bereich zur Verfügung in dem er sich frei bewegen darf.

Man könnte meinen, dass für den Hund nun ein Traum in Erfüllung geht! Tatsächlich ist es aber so, dass viele Vierbeiner erstmal komplett überfordert mit der neuen Situation sind. Sie brauchen Monate, oftmals sogar Jahre, um sich einzuleben. Viele Hunde sind in dieser Zeit in einer Art Schockstarre und benehmen sich komplett unauffällig. Nachdem diese Phase überwunden ist, können sich die ersten Schwierigkeiten zeigen: der Hund ist vielleicht nicht stubenrein, knabbert Wände und Möbel an, kann nicht alleine bleiben, zieht an der Leine, beginnt sein Futter zu verteidigen, bellt viel usw.

Training des Tierschutzhundes

Und hier beginnen nun die wirklichen Probleme: statt dem Hund die Zeit zu geben, die er braucht, werden viele Hundehalter verleitet sofort „ hart durchzugreifen“. In den meisten Fällen passiert das gar nicht aus böser Absicht, sondern einfach deshalb, weil es in vielen Medien (TV, Internet, Zeitungen, etc.) so propagiert wird.

Man hört Dinge wie „du bist nicht der Rudelführer“, „dein Hund nimmt dich nicht ernst“, „der tanzt dir auf der Nase herum“ und Vieles mehr.

Viele Hundehalter werden davon so stark verunsichert, dass sie unterschiedlichste Maßnahmen einsetzen um die vermeintlichen Probleme zu beheben. Es kommt zur Einführung von seltsamen und unsinnigen Regeln  (der Hund darf nicht mehr auf die Couch, der Mensch geht als Erstes durch die Tür, der Hund bekommt sein Futter erst nach Leistung, etc.) und im schlimmsten Fall auch zu Strafmaßnahmen, um den Hund für unerwünschtes Verhalten zu korrigieren. Auch wenn vielleicht gar keine physische Gewalt eingesetzt wird, so sind doch die Auswirkungen von psychischer Gewalt nicht zu unterschätzen! (Lies hier den Beitrag zu Versteckte Gewalt im Hundetraining)

Was macht das mit dem Tierschutzhund?

Die Welt des Hundes wurde mit dem Umzug in sein neues Leben komplett erschüttert – er hat seine Bezugspersonen, seine Bindungspartner und seine gewohnte Umgebung verloren. In dieser extrem sensiblen Phase braucht er Halt und Zeit Vertrauen zu fassen. Arbeitet man nun mit aversiven Mitteln lernt der Vierbeiner nur Eines: Menschen sind gefährlich, man kann ihnen keinesfalls vertrauen und die neue Welt ist nicht sicher!

Der Hund wird so schnell in eine erlernte Hilflosigkeit schlittern und jegliches Selbstvertrauen verlieren. Er wird versuchen jedes Verhalten zu unterdrücken um keine Schwierigkeiten mit den Menschen mehr zu bekommen. Doch wird Verhalten aus Angst nicht mehr gezeigt, ist es noch lange nicht weg! Im Gegenteil, das Risiko ist extrem hoch, dass die Probleme später – in extremerer Form! – wieder kommen!

Passiert das, dann wird der vormals relativ unproblematisch Hund schnell zu einem wirklichen Problemhund! Und dann droht in vielen Fällen die Abgabe, weil die Hundehalter überfordert sind. Der Tierschutzhund rutscht so (unverschuldet!) in einen Teufelskreis: jede Weitervermittlung ist wieder eine traumatische Erfahrung, die die Probleme verschlimmert. Die Chancen werden also immer geringer, dass der Vierbeiner ein passendes, verständnisvolles Zuhause findet.

Fazit

Kein Hund ist von Beginn an perfekt erzogen, aber gerade bei Tierschutzhunde kann es sein, dass sie ein größeres Päckchen an unerwünschtem Verhalten mitbringen. Dessen muss man sich bewusst sein, bevor man sich für einen Second-Hand-Hund entscheidet. Mit Liebe, Geduld und passendem, gewaltfreien Training lässt sich unerwünschtes Verhalten aber sehr gut bearbeiten.  

Der Einsatz von aversiven Trainingsmethoden bewirkt jedoch das Gegenteil und verschlimmert die Probleme nur. Die gut gemeinte „Rettung“ des Tierschutzhundes verdammt ihn so schnell zu einem Leben in permanenter Angst. Hier stellt sich die Frage, ob es für den Vierbeiner nicht besser gewesen wäre, dort zu bleiben wo er war.

Anmerkungen

Dieser Blog-Artikel erscheint im Rahmen der Blog-Parade „Fair statt Fies“. Bei dieser Aktion haben sich BlogerInnen zusammengeschlossen, um einen fairen und gewaltfreien Umgang mit Hunden in den Fokus zu rücken. Von 10. Oktober bis 13. November 2019 gibt es deshalb eine Reihe an Blog-Artikel zu diesem Thema!

Alle erschienen Blog-Artikel könnt ihr hier nachlesen: https://www.knowwau.com/fair-statt-fies-die-blogparade/

Der hübsche kleine Kerl, der das Titelbild des Blog-Beitrags ziert ist Harry von meinem Herzensverein Auf ins Leben! Schaut doch gerne mal auf der Homepage vorbei, was wir so machen: https://www.aufinsleben.at/